Dienstag, 29. Juli 2014

Stellung beziehen in einem schwer lastenden Sommer - oder: Zeit für Rosengedichte?


Été: être pour quelques jours
le contemporain des roses;
respirer ce qui flotte autour
de leurs âmes écloses.


Faire de chacune qui se meurt
une confidente,
et survivre à cette soeur
en d’autres roses absente.



 *



Sommer: für ein paar Tage
der Zeitgenosse der Rosen sein;
atmen, was um ihre ausgeblühten Seelen schwebt.

Aus jeder, die dahinstirbt,
eine Vertraute machen
und diese abwesende Schwester
in anderen Rosen überleben. 


Rainer Maria Rilke (Aus: Les Roses)



Aus einem schwer lastenden Sommer Flucht in Rosengedichte - und die Frage danach, ob solches eigentlich erlaubt sein kann. Wie immer, wenn ein Gedicht mich anspricht, fällt es mir schwer, mich dazu zu äußern. Fiele es je leicht, bräuchten wir diese Kunstform vermutlich nicht. So bleibt es ein Berührt-sein vom Hauch eines Gleichnishaften, ohne es näher benennen zu können.

Die Bürden dieses Hochsommers, sie heißen: Gewitterschwüle, Brandgefahr, Sommergrippe, Fieberträume angesichts einer bedrohlich empfundenen Weltlage. Trauer und Ohnmacht angesichts der Leiden der Menschen in Krisengebieten, besonders - wie stets immer und überall - der Kinder.

Schönreden der Politiker, gar Aufrufe, Stellung zu beziehen, bleiben verdächtig. Es sind nicht selten Aufrufe zur Parteinahme für die eine oder andere Seite. Etwas, wovor ich zurückschrecke. Manche Konflikte verstehen zu wollen, kann zu einer Lebensaufgabe werden, die darüber jedoch einer Lösung keinen Schritt näher kommen muss. Gewiss habe ich die Möglichkeit und die Pflicht, mich nach Kräften zu bilden und zu informieren. Zum Kern vordringen werde ich dennoch nicht, dies zu erwarten wäre vermessen.

Wenn ich zu etwas Stellung beziehen soll, so bin ich letztlich auf meine eigene Wahrnehmung angewiesen, so unzureichend diese sein mag. Was ich untrüglich wahrnehme, ist Leid. Unendliches Leid als Voraussetzung, immer weiteres Leid hervorzubringen. Und wie üblich trifft all dieses Leid die Schwächsten: die Kinder. Kinder, die in diese konfliktgeladene Welt hineingeboren wurden, ohne gefragt zu werden. Kinder, deren einziger Wunsch es ist, zu leben und sich am Leben zu freuen. Oft wird ihnen dieses Leben genommen, bevor es richtig begonnen hat. Und - bittere Ironie: Wenn sie es schaffen, mit diesem Leben davon zu kommen, dann werden sie in die Konflikte der Großen hineingezogen, vor deren Karren gespannt, ausgenutzt, missbraucht und aller ihrer Träume beraubt. Sie sind die Erwachsenen von morgen, traumatisierte Erwachsene, die gar nicht anders können, als die übernommenen Konflikte immer weiter zu tragen und auszuweiten.

Ja, ich nehme Partei! Ich nehme Partei für die Kinder! Und manch eine und manch einer merkt schon, dass es hier knifflig wird. Denn Kinder haben alle Hautfarben und alle Religionen; sie sind Angehörige der verschiedensten Nationalitäten, und jedes einzelne hat seine individuelle Geschichte. Partei für die Kinder zu ergreifen kann keine Parteinahme für irgendeine Konfliktseite der Großen bedeuten. Partei ergreifen für die Kinder kann nur bedeuten, Prioritäten neu zu setzen und die Rechte der Kinder an die oberste Stelle, über alle anderen Interessen zu setzen. Denn Kinder haben Rechte! Recht auf Leben, auf Bildung, auf Beteiligung und nicht zuletzt auf Schutz vor jeglicher Form von Gewalt! Die UN Kinderrechtskonvention trat 1990 in Kraft und wurde von nahezu allen Staaten dieser Erde unterzeichnet. Die Realität mutet dagegen wie Hohn an. Umsomehr muss sich Parteinahme für die Kinder darin ausdrücken, alle Bemühungen von Menschen um Verständigung und Frieden zu unterstützen und deutlich "Nein" zu sagen zu jeder Form von Gewalt.



Um es vorwegzunehmen: Nein, wir können als Einzelne allein die Welt nicht retten. Was wir als Einzelne tun können, ist Denkanstöße geben, aufgreifen und weiterreichen, Impulse setzen und diese weitertragen, und auf diese Weise dafür sorgen, dass Menschen, die dasselbe wollen, miteinander in Austausch kommen und wieder andere Menschen mit hinzuzuholen. Dafür sorgen, dass wir viele werden. Und für jede Hoffnung die abstirbt, eine neue aufblühen zu lassen - oder mehrere.

Somit wäre ich zu den Rosen zurückgekehrt und hätte mir meine Frage von oben selbst beantwortet. Was mich - einmal im Rilke-und Rosen-Fieber - hier nicht hindern soll, eine weitere Rose nachzulegen.


Das Rosen-Innere

Wo ist zu diesem Innen
ein Außen? Auf welches Weh
legt man solches Linnen?
Welche Himmel spiegeln sich drinnen
in dem Binnensee
dieser offenen Rosen,
dieser sorglosen, sieh:
wie sie lose im Losen
liege, als könnte nie
eine zitternde Hand sie verschütten.
Sie können sich selber kaum
halten; viele ließen
sich überfüllen und fließen
über von Innenraum
in die Tage, die immer
voller und voller sich schließen,
bis der ganze Sommer ein Zimmer
wird, ein Zimmer in einem Traum.

Rainer Maria Rilke, 2. 8. 1907, Paris



Geben wir diesem Sommer eine Chance, sich zu erfüllen!

In diesem Sinne: Liebe, sommerliche Grüße!

Betty


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