Donnerstag, 31. März 2022

Im Hölderlinhaus - oder: "Wozu Dichter in dürftiger Zeit?"

 

 

 

Im Hölderlinhaus

Dir nachgehen, Sänger,
Über ächzende Dielen,
Seufzende Stiegen, wo du,
Ein Kind noch, vorsichtig
Schritte, die allerersten, wagtest.

Laute, die dich umgaben, erste,
Die du vernahmst, fortlebend
In dir: Das stetige Murmeln
Der Zaber, sich verlierend
In Rauschen, wo im weiteren
Verlauf den Neckar sie trifft, jenen
Unbezähmbar gebliebenen,
Dessen Stromschnellen
Lange zuvor, raunend
An beiden Ufern Wohnenden
Den Namen des Ortes nannten:
Hlauppa.

Auch: Der sehnsuchtsvolle
Ruf der Glocken vom
Turme der Heiligen, deren
Legendenumwobenem
Lächeln auf Rosenwangen
Die tosenden Fluten des Stromes
Nichts anzuhaben vermochten.

Lerntest du es von ihr: Dich
Ihm anzuvertrauen, Dich
Von ihm tragen zu lassen, weiter
Dem Meere entgegen, von dem
Dir erzählten die Rufe der unruhigen
Möwen? Ihre durchdringenden
Stimmen der Freiheit, weckten sie
Dein empfängliches Herz?

So wie das Licht, welches du
Das gütige nanntest, im
Augenblick, da es dir
Zuallererst begegnete, gespiegelt
Im funkelnden Wasser, beschattet
Vom belaubten Kronendach
Hoher Bäume, unter welchen
Noch frühzeitiger im Jahr
Blaue Sterne, vereinzelt
Ins zartgrüne Gras gestreut, deiner
Ankunft zuerst sich erfreuten.

Weckten sie in dir,
Dem zwischen Klostermauern
Traumverloren Wandelnden,
Jene dich stets begleitende
Liebe zu Pflanzen, zu Blumen?
Zu den Sternen des unendlichen,
Sich weithin verlierenden Alls?

Wandeln wie du
In jungen Jahren, traumverloren.
Nichts haltend, immer nur
Gleichen Mutes alles lassend,
Still empfangend, einzig
Dem Werden sich ver-schreibend.

 

Lauffen am Neckar, den 20.03.2022

Bettina Johl 

 

 



 

"Dürftige Zeiten" - auch wir können ein eigenes Lied davon singen, da wir uns in solchen wiederfinden, reichlich zerzaust von einer Pandemie, die uns noch immer in Atem hält, und zutiefst erschrocken über den Zivilisationsbruch eines brutalen Angriffskrieges in Europa, der uns einmal mehr daran erinnert, dass diese Welt nie ein friedlicher Ort war und dass noch sehr viel zu tun sein wird, sie annähernd auf den Weg dahin zu bringen.

Ich will mir und uns hier nicht die Frage stellen oder gar erörtern, ob in diesen zerbrechlichen Zeiten noch Raum für Dichtung in dieser Welt ist. Ich muss es voraussetzen! Denn wenn diese Welt bewohnbar bleiben soll, muss Raum dafür in ihr sein! Und deshalb geht es - nach einer längeren Pause - auch hier weiter.


 

 



 


Im Januar ließ sich zu meiner großen Freude gemeinsam mit dem Campus Radio CKCU FM 93.1 der Carleton University in Ottawa/Canada ein Herzensprojekt verwirklichen:

Im Rahmen der wöchentlichen viersprachigen Sendung CKCU Literary News unter der Leitung von Hans G. Ruprecht konnte ein zweiteiliges Interview mit Frau Eva Ehrenfeld, Leiterin des Museums Hölderlinhaus in Lauffen am Neckar, Kuratorin der Ausstellung und Geschäftsführerin der Hölderlin-Gesellschaft, ausgestrahlt werden. 

Beide Folgen sind OnDemand verfügbar und können unter den folgenden Links jeweils unter dem Menüpunkt "Listen now" (zu finden auf der linken Seite) abgerufen werden:

Besuch im Museum HÖLDERLINHAUS Teil 1

Besuch im Museum HÖLDERLINHAUS Teil 2

Ebenfalls können diese direkt über SOUNDCLOUD angehört werden unter:

https://soundcloud.com/radiockcu-fm-literary-news/besuch-im-museum-holderlinhaus-in-lauffen-teil-1-bettina-johl-und-eva-ehrenfeld-im-gesprach

und

https://soundcloud.com/radiockcu-fm-literary-news/besuch-im-holderlinhaus-teil-2 

Die Arbeit an diesem Projekt hat mir, die ich in Sachen Radio freilich Amateurin bin, großen Spaß gemacht, sodass ich mir wünsche, es möge nicht das letzte dieser Art gewesen sein. 

Allen weiter oben Genannten, die es ermöglicht haben, gilt mein herzlicher Dank! 

Möge es ein wenig dazu beitragen, dass Menschen auch und gerade heute noch Zugang zu Hölderlin und seinem Werk finden!

Unterdessen eilt das Flüsschen Zaber, an dem alles seinen Anfang nahm, weiter munter dem Neckar zu.




 

An dieser Stelle möchte ich noch auf eine frühere Sendung hinweisen, die ebenfalls auf CKCU LitNews im September 2021 zu Hermann Hesses Briefen 1940 - 1946 ausgestrahlt wurde:

Bettina Johl im Gespräch über HERMANN HESSE

Diesem Gespräch zugrunde liegt mein
Beitrag
Anschreiben gegen die Weltkrankheit des Größenwahns
im Online-Portal Literaturkritik.de,
erschienen in der Ausgabe 08-2021.

 

 

Ungekürzt nachzuhören ist die Sendung unter "Listen now" auf der Website oder unter SOUNDCLOUD:

https://soundcloud.com/radiockcu-fm-literary-news/hesse-werk-und-briefe-1940-1946


Desweiteren freue ich mich, ankündigen zu können, dass mein Roman "Holunderblüten", der seit 2020 als eBook verfügbar ist, noch in diesem Jahr in Druck gehen wird.


 

"Schreib weiter - und schreib Gedichte!", sagt ein lieber Freund und Mentor, dessen Bestärkung und Ermutigung mir in diesen Tagen mehr bedeutet, als ich es hier in Worte fassen kann. Und ich zögere immer wieder, bezeichnete ich doch meine Gedichte immer mehr als Spiel, behauptete, mich nicht darauf zu verstehen. Aber vielleicht ist das ja gar nicht notwendig. Wenn sie denn da sind, so suchen sie sich ihren Weg. So denn...

 

Verlorene Spur

Die Spur: Ihr folgen -
Damals,
Als die Schienen noch
Glanz trugen,
Wäre es wohl

Zu denken
Gewesen.

Aber es war
Frühling.

Ich verlor mich
Im duftenden Weiß

Der Schlehdornhecken

Hummelumflogen

An ihrem Saum.

Ich blieb
Auf der Strecke,

Sozusagen.
Verträumte

Die junge Zeit

Im unwirklichen

Blau.

Es kam
Der Sommer.

Verwachsen
Die Schienen.

Verflogen

Die Blüten.

Und Hummeln -

Sie auch.

Dornen zeichneten
Spuren - andere

Auf der Haut und
Im Herzen -

Da auch.

Ich blieb.
Achtete

Ihrer nicht.
Träumte weiter

Den Traum

Vom unwirklichen

Blau.

Im Herbst
Wird die Spur

Nirgendwohin

Mehr führen,

Werden die Schienen

Verrostet liegen.

Ich werde
Noch da sein

In den Hecken,
Leicht angekratzt,

Die herben

Früchte ernten,

Leicht bitter -

Und doch

Unwiderstehlich

Im unwirklichen

Blau.

 

Bettina Johl

im März 2022




Und da die Blumen noch dieselben sind und sich nicht um Zeitläufte scheren, wie schon Hermann Hesse feststellte, bleibt mir, uns einmal mehr einen hoffnungsvollen Frühling zu wünschen!

In diesem Sinne

Betty 


Anemone nemorosa

Dein Kopfnicken
Im Wind,
Zauberschöne:
Uneingeschränktes
Ja zum Frühling,
In zerbrechlicher Zeit.

Bettina Johl

März 2022