Dienstag, 29. Dezember 2020

Winter-Blog im Niemandsland - oder: Kronenzeit-Bilanz


Das Feld ist kahl, auf ferner Höhe glänzet
Der blaue Himmel nur, und wie die Pfade gehen,
Erscheinet die Natur, als Einerlei, das Wehen
Ist frisch, und die Natur von Helle nur umkränzet.

Der Erde Stund ist sichtbar von dem Himmel
Den ganzen Tag, in heller Nacht umgeben,
Denn hoch erscheint von Sternen das Gewimmel,
Und geistiger das weit gedehnte Leben.

Friedrich Hölderlin (Der Winter)



Wieder einmal: Zwischen den Jahren, im Niemandsland. Niemandes Zeit, niemandes Raum. Tage, die mir selbst gehören - Zeit, sich zu sortieren. In alten Aufzeichnungen zu stöbern. Auch in diesem Blog, das ich vor sieben Jahren begonnen und in der letzten Zeit oft vernachlässigt habe. Den Gedanken, es aufzugeben - auch den gab es, mehrere Male, jedoch für immer nur sehr kurze Zeit. Denn, ich merke: Ich hänge dran. Dokumentiert er doch meinen späten Aufbruch in ein Leben, das erstmals nur mir selbst gehörte, die allererste Voraussetzung dafür, es schließlich auch wieder mit anderen teilen zu können. 

Hin und wieder musste ich mir die Frage stellen lassen: Warum machst du so vieles öffentlich? Machst du dich damit nicht angreifbar? Doch, natürlich! Wir alle sind verletzbar, jede und jeder für sich genommen. Das macht uns als Menschen aus. Aber dem entgehen wir nicht, auch nicht durch Abschottung! Und im Sich-Öffnen liegt so viel Gewinn, dass die Schattenseiten dahinter zurücktreten. Es führt zu einem offeneren Umgang mit sich selbst, zur kritischen Selbstbetrachtung mit Augenzwinkern, im besten Fall dazu, sich selbst auf die Schippe nehmen und über sich selbst lachen zu können. Und das befreit! Und ermutigt auch andere, sich zu befreien. Von dem Druck, einem Bild entsprechen zu müssen, das angeblich erwartet wird. Erwartet - von wem? Von anderen? Von mir selbst?

Dieses Jahr war kein einfaches. Für niemanden von uns. Wir haben es gemeinsam durchlebt, inklusive der Gefühlspalette von Verunsicherung, Angst und Beklemmung über Enttäuschung, Wut und Verzweiflung bis hin zur Freude über Unerwartetes, das manchmal durch die Krise erst möglich oder in einem neuen Blickwinkel sichtbar wurde. Und ja, alle diese Gefühle hatten ihre Berechtigung! Niemand muss sie sich vorwerfen lassen von anderen, die glauben, moralisch ein wenig besser unterwegs zu sein oder ein wenig besser mit einer schwierigen Situation zurechtzukommen. Denn jeder Mensch hat Gründe für sein Fühlen und Handeln, mögen sie für andere nun nachzuvollziehen sein oder auch nicht. Und ebenso sind jedem Menschen innere Kräfte zu verantwortlichem Handeln zuzutrauen. Ob von diesen immer Gebrauch gemacht wird, ist eine andere Sache. Und hier gilt es, zunächst vor der eigenen Tür zu kehren. Da kommt bei jeder von jedem von uns etwas zusammen! Selbstverständlich auch bei mir.



Letzlich jedoch kann ich hier nur meine persönliche Kronenzeit-Bilanz ziehen und erzählen, womit ich das Jahr verbracht habe: Ich habe für euch den Mond mit der Stange hinaufgeschoben! (Im ländlichen Raum geht solches noch.) Ich war sehr viel allein auf leisen Sohlen in den Wäldern unterwegs, um euch ihre Schönheiten zeigen zu können. Und ich habe zum 250. Geburtstag meines Dichters am 20. März 2020 mein Buch veröffentlicht, zunächst in Folgen im Online-Magazin Literaturkritik.de, seit 20. Dezember ist es nun auch als eBook erhältlich. Eine gedruckte Ausgabe ist für nächstes Jahr in Planung. Mein einziger Wunsch: Dass es seine Leserinnen und Leser finden möge!


Bettina Johl:
Holunderblüten
Zwei Liebende auf den Spuren Hölderlins
Roman

Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT)

Marburg an der Lahn 2020
124 Seiten
ISBN 978-3-936134-77-3
Preis: 4,50

Link zum Buch




Das neu restaurierte Hölderlinhaus in Lauffen am Neckar
Indessen mussten viele der geplanten Geburtstagsfeierlichkeiten zum Motto "Hölderlin 2020" abgesagt oder verschoben werden. Das ist einerseits zu bedauern, aber wenn ich es recht bedenke, wäre dies - ein stilles Fest im Verborgenen - vielleicht ganz in des Dichters Sinne gewesen!






Schachbrett


Hauhechelbläuling

Während des folgenden langen, heißen Sommers waren es, wie ich beim Sichten der Fotos feststelle, besonders Falter im Licht, die mich in ihren Bann zogen...








Frau Kaisermantel


Über dem Rhein am "Drei-Seen-Blick"

Manches habe ich vermisst, ja! Meine geliebten Parks und Gärten, die ich nicht aufsuchen konnte, da sie geschlossen blieben. Konzert-, Theater- und Cafébesuche. Die Ostsee, an der ich sonst jedes Jahr gern eine Auszeit nehme. 

Gemeinsame Zeit mit meinem Sohn Raphael David, wie hier im Frühsommer bei einer Wanderung im Siebengebirge, die wir uns glücklicherweise gönnen konnten und die für mich zu den liebsten Erinnerungen aus diesem verrückten Jahr 2020 gehört!

 

 

Die Löwenburg im Siebengebirge

 

Esche auf einer Lichtung der Eppinger Hardt
Dann wiederum erschloss sich unerwartet Neues, wie Möglichkeiten der Mitgestaltung über digitale Formate, deren Nutzung sich viele zuvor nicht vorstellen konnten. Und so verbrachte ich mehr Zeit als sonst mit politischer und gewerkschaftlicher Arbeit, was mir gut bekam, - und im Übrigen mit Lernen, was immer eine gute Idee ist. Über ein Fernstudium konnte ich meine Weiterbildung zur Diplomierten Lerndidaktikerin und Legasthenietrainerin abschließen, was mir neue Wege eröffnet, junge und vielleicht auch nicht mehr ganz so junge Menschen beim Lernen zu unterstützen und zu begleiten.








So ließe sich nun sagen, dass es für mich trotz aller Widrigkeiten sogar ein gutes Jahr war. Dass ich allen Grund habe zur Dankbarkeit. Dies hat gewiss seine Richtigkeit. Aber es ist so eine Sache mit der Dankbarkeit: Sie kann sich schnell in ihr Gegenteil verkehren! Indem ich mich nämlich zurücklehne und dankbar feststelle, dass es mir doch noch sehr gut geht, während es anderen weniger gut geht, wenn nicht gar schlecht. Eine Dankbarkeit empfinde, die im schlimmsten Fall darauf aus ist, diesen ungerechten Zustand möglichst zu erhalten, statt sich für bessere Lebensbedingungen für ALLE einzusetzen. 

Versteht mich richtig: Es ist zweifelsohne eine gute Sache, sich an kleinen, schlichten, naheliegenden Dingen freuen zu können und sich deren Wert wieder ins Bewusstsein zurückzuholen! Dankbarkeit - oder Zufriedenheit - hingegen darf sich dann einstellen, wenn kein Mensch - und schon gar kein Kind! - mehr unter menschenunwürdigen Bedingungen leben oder gar auf der Flucht vor solchen im Meer ertrinken muss. Dann, wenn nicht mehr Hass und Neid dazu führen, dass diese Menschen von anderen, die solches nie erleben und durchleiden mussten, verachtet werden, gar ihr Menschsein abgesprochen bekommen! 

Und so lange dies noch nicht so ist, gilt es, Mitgefühl und Solidarität in uns neuen Raum zu geben und nach Kräften darum zu kämpfen, dass sich dies ändert!

 
Oder, wie es John Lennon, der in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden wäre, in einer Zeile seines berühmten Liedes ausdrückte:

Imagine all the people sharing all the world...

Ja, das klingt sehr einfach.
Ja, das wird sehr schwer!
Und - ja: Es ist der einzige Weg.

In diesem Sinne: Kommt gut ins Neue Jahr!

Eure Betty




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